Fünf für Leipzig – 5 Prozent vom Kulturetat für die Freie Szene

Ein langer Weg liegt hinter uns seit sich die Initiative Leipzig + Kultur im Jahr 1999 gründete, um etwas gegen die drohenden Fördermittelkürzungen bei der Freien Szene zu unternehmen. Damals erregten wir viel Aufmerksamkeit mit unseren Kunstaktionen. Erinnert sei nur an das eindrucksvoll zersägte Klavier im Festsaal des Rathauses oder die weißen Gestalten, die in der oberen Wandelhalle auf dem Boden lagen, so dass die Stadträte auf ihrem Weg zum Plenarsaal über diese steigen mussten. Über der Szenerie ein Transparent mit der Aufschrift „Übergeht uns nicht länger“.

Insbesondere aber der „Weiße Januar“ im Jahr 2001 erregte in Leipzig und weit darüber hinaus Beachtung. Wenngleich die spontane Reaktion des Kulturamtes darin bestand, 10% der bewilligten Fördermittel zurückfordern zu wollen – denn immerhin hätten wir ja in dem Jahr nur 11 Monate gearbeitet, so dessen Standpunkt – (wozu es aber letztlich nicht kam), tat die besondere Dramatik dieser Aktion doch ihre Wirkung. Zum ersten Mal hatten wir den Eindruck, dass unsere Argumente angehört, die existentiellen Nöte der freien Kulturinitiativen zumindest erahnt wurden.

Zwar wurden die Fördermittel für die Freie Szene damals nicht erhöht, aber mit dem Runden Tisch für Freie Kultur gründete sich infolge des „Weißen Januar“ erstmals ein Gremium aus Politik, Verwaltung und Vertretern der Freien Szene, das in gemeinsamer Arbeit die Rahmenbedingungen für freie Kulturarbeit in unserer Stadt grundlegend verbessern wollte. Immerhin ein halbes Jahr hat dieses Bündnis gehalten – und entstanden ist ein Thesenpapier, das helfen sollte die politische Lobby der Freien Szene zu verbessern. Ein Anfang eben.

Zu erwähnen wäre noch das Programm der Initiative, das im November 2002 beschlossen wurde und letztlich noch einmal die Notsituation der freien Kulturmacher, ihre Wünsche und Vorschläge zu Wegen aus der Krise verdichtete. Dann war lange Ruhe. Bis zum Sommer 2007 hatten die Akteure mit sich und ihrem täglichen Überlebenskampf alle Hände voll zu tun und keine Kraft für zusätzliche politische Arbeit. In dieser Zeit sanken die Fördermittel der Freien Szene um weitere 26%, während der Kulturetat insgesamt um 8% anstieg.

Mit diesem gedankenlosen Raubbau an der kulturellen Basis der Kulturstadt Leipzig wurde jedoch der Boden bereitet für ein erneutes Aufbäumen der Vergessenen, für eine Renaissance unserer Initiative. Im Sommer 2007 entstand der „Forderungskatalog für freie Kulturarbeit“ und nach der ersten Vollversammlung seit Jahren kehrte Leipzig + Kultur auf die politische Bühne zurück. Und sie hatte etwas zu sagen: Da war auf die einmalige Bilanz freier Kultur in Leipzig zu verweisen, die mit ihrer Vielfalt, Effizienz und den Besucherzahlen konkurrenzlos dasteht.

Da war der Finger auf die Wunden der Sparpolitik zu legen: Die Scheune musste schließen, der LeipJAZZig-Herbst, das Festival Leipziger Jazzmusiker fiel mangels Förderung aus und viele andere Projekte mussten sterben (diesen wurde mit Kulturkreuzen im Stadtzentrum ein Mahnmal gesetzt). Und mit dem Forderungskatalog, der aus dem schon erwähnten Programm der Initiative entwickelt wurde, offerierte sie der politischen Ebene nachvollziehbare Lösungsansätze.

Dies alles – und wohl auch einige Pannen in der höheren Kulturpolitik unserer Stadt – führten zu einem Umschlagen der Stimmung. Gedanken, die noch 5 Jahre zuvor nur den üblichen Verdächtigen der kleineren Fraktionen unseres Stadtrates vorbehalten waren, machten nun in allen Parteien die Runde. Von allen Fraktionen bzw. den Ortsgruppen der Parteien wurde unsere zentrale Forderung: Fünf für Leipzig – 5% vom Kulturetat für die Freie Szene aufgegriffen, diskutiert und zum Teil in entsprechende Anträge überführt.

Im April 2008 dann der erste Paukenschlag: Trotz schwieriger Haushaltslage entschied sich der Stadtrat für eine Erhöhung unserer Fördermittel von 1,9 auf 2,4 Mio. Euro im laufenden Haushaltsjahr. Im Mai wurde der Runde Tisch wiederbelebt. Am 17. September dann das zweite, noch weiter gehende Bekenntnis der Leipziger Politik zu ihrer Freien Kulturszene: Bis zum Jahr 2013 sollten die Fördermittel für Freie Kulturarbeit auf 5% vom städtischen Kulturetat anwachsen. Unterstrichen wurde die Ernsthaftigkeit und breite Basis dieses Beschlusses durch das überwältigende Abstimmungsergebnis: Alle dafür bis auf 2 Enthaltungen und 1 Gegenstimme.

Innerhalb von 5 Jahren sollte der Etat der Freien Szene auf 5% vom Kulturhaushalt anwachsen – und sich damit mehr als verdoppeln. Ein ebenso notwendiges wie ehrgeiziges Vorhaben, das konkret ausgestaltet werden musste. Die Fragen, die vor uns standen, lauteten: In welchen Jahresschritten soll dies geschehen? Wofür – für welche Entwicklungen – soll das Geld eingesetzt werden? Wie, nach welchen Kriterien und Richtlinien soll es ausgereicht werden? Wer entscheidet? Und: Warum?

Zum einen hatte die Initiative Leipzig + Kultur in ihrem Forderungskatalog erste Antworten auf diese Fragen gegeben. Hier waren ganz klar die Bedürfnisse, wie sie in der täglichen Praxis entstehen, aufgelistet. Darüber hinaus lagen von den 5 Sparten der Initiative Kulturentwicklungspläne vor, die weiter zu entwickeln und zu Grundlagen von Förderentscheidungen zu qualifizieren waren. Zum zweiten arbeitete der Runde Tisch für Kultur kontinuierlich an diesen Themen, um in Grundsatzfragen den Konsens zu erreichen und in Einzelfragen politische Entscheidungen vorzubereiten. Zum dritten war die Verwaltung am 17. September 2008 vom Stadtrat beauftragt worden, den ebenfalls an diesem Tag beschlossenen Kulturentwicklungsplan der Stadt bis Mitte nächsten Jahres mit konkreten Entwicklungskonzeptionen zu untersetzen – Konzeptionen für die kulturellen Eigenbetriebe, für die kulturelle Bildung und den Bereich der Soziokultur.

Durch die spezielle Anforderung des Stadtrates kam der Soziokultur hierbei eine Vorreiterrolle zu. Die Erfahrungen aus diesem ersten Schritt ins Neuland sollten anschließend die Arbeit in den verbleibenden Sparten befruchten und zu mit Verwaltung und Politik abgestimmten Spartenentwicklungskonzeptionen führen, die Grundlage für zukünftige Förderentscheidungen werden sollten.

Soweit die Theorie. In der Praxis sah das Ganze vollkommen anders aus: Schon im ersten Jahr wurde das Zwischenziel nicht erreicht. Anschließend ging es – auf dem Weg nach oben – mit den Fördermitteln für die Freie Szene sogar bergab. Im Ergebnis erhielt die freie Szene im Jahr 2012 (also kurz vor Ultimo) lediglich 3,3 Prozent vom Kulturhaushalt. Damit waren in 80 Prozent der Zeit noch nicht einmal 40 Prozent des Weges geschafft. Verschleiert wurde die ganze Misere durch Haushaltstricks, mit denen der Politik und der Öffentlichkeit ein höherer Förderanteil für die Freie Szene vorgegaukelt wurde. Wahlweise wurde der städtische Kulturetat nach unten interpretiert oder es wurden Kultureinrichtungen in unseren Förderbereich hineingewidmet, die 2008 eine eigene Haushaltsstelle bei der Stadt hatten und somit von dem Ratsbeschluss gar nicht betroffen waren.

Zwischenzeitlich stand der 5-Prozent-Beschluss sogar auf der Kippe und es bedurfte einer zweiten Fünf-für-Leipzig-Kampagne, damit er nicht zurückgenommen wurde. Erst sollte er bis 2015 gestreckt werden und schließlich wurde er durch den Beschluss ersetzt, die Fördermittel für die Freie Szene, ausgehend von der jeweils aktuellen Höhe jährlich um 2,5% zu erhöhen. Diese „Dynamisierung“, wie es der damalige Kulturbürgermeister Michael Faber nannte, führte dazu, dass die Freie Szene im Jahr 2016 ca. 4,2% vom städtischen Kulturetat erhält.

Auch bezüglich der Spartenentwicklungskonzeptionen gab es keinen echten Fortschritt. Zwar wurde die Konzeption für die Soziokultur erarbeitet und 2016 novelliert, von einem Übertragen dieses Modells auf die anderen Sparten und einer Einflussnahme auf die Fördermittelvergabe sind wir jedoch immer noch weit entfernt.

Somit fällt das Resümee zwiegespalten aus: Zum einen können wir stolz darauf sein, das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Politik für die Situation der Freien Szene und die Bedürfnisse ihrer Akteure nachhaltig geschärft und sogar politische Entscheidungen für die freien Künstler/-innen und Kulturinitiativen herbeigeführt zu haben. Zum anderen bedeuten solche Beschlüsse eben noch lange nicht, dass sie auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. Hierfür wird es auch weiterhin der intensiven Einmischung der Initiative Leipzig + Kultur als Interessenvertreter der Freien Kulturszene bedürfen.

Hoffnung macht, dass wir es trotz aller Widrigkeiten geschafft haben, die Situation für die freien Künstler/-innen und Kulturinitiativen unserer Stadt signifikant zu verbessern – auch wenn (noch) nicht alle Zielstellungen erreicht wurden. Der Gesprächsfaden mit der Politik riss niemals ab und der Runde Tisch tagt seit Monaten engagiert wie nie zuvor. Hinzu kommt eine Kulturbürgermeisterin, die seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2016 nachdrücklich ein für Leipzig neues Verständnis von Dialogbereitschaft und Partizipation der Akteure an den Tag legt, das wahrhaft zukunftsweisend ist.


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