Szenen einer Szene

 21. April 2012 – von Leipzig + Kultur

 

„Ihr kriegt mehr als drei Millionen Euro im Jahr, was wollt ihr denn noch?“ So oder ähnlich bekommen wir es immer wieder zu hören. Mal zwischen den Zeilen, mal ganz direkt. Wahrscheinlich kommt das daher, dass die meisten eine eher vage Vorstellung davon haben, was es bedeutet, als KünstlerIn oder KulturmacherIn nicht nur „sich irgendwie selbst zu verwirklichen“, sondern das zu seinem Lebensinhalt zu machen. Sprich, auch davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Was ist die Aufgabe von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft – ist das richtige Arbeit oder Hobby? Muss das bezahlt werden wie ein richtiger Job, oder sind Künstler nicht Idealisten, denen es gar nicht ums Geld geht? Und Kulturmacher, müssen die nicht ihr Geld genauso verdienen wie der Bäcker an der Ecke? Der kann schlileßlich auch nicht nach Fördermitteln schreien…

Mal abgesehen davon, dass so ziemlich jeder „richtige“ Industriezweig ohne Subventionen vom Staat oder Kredite nicht lebensfähig wäre – was wäre besser daran, wenn Eltern für die Kurse ihrer Kinder in soziokulturellen Zentren den „wirtschaftlichen“ Preis bezahlen würden? Wenn die Theater- oder Konzertkarte (auch die in den Eigenbetrieben) nicht subventioniert würde? Wir alle bezahlen auch jetzt schon den „realen“ Preis von Kultur – nur eben so, dass wir nach unseren Möglichkeiten Steuern bezahlen, und dieses unser Geld dann entsprechend gemittelt verteilt wird. Das ermöglicht Kultur, das ermöglicht Teilhabe. Es ist aussagekräftig, dass diese einst fundamentale Übereinkunft so ins Wanken geraten konnte. Die demokratiekonforme Marktwirtschaft ist auf dem Weg zur „marktkonformen Demokratie“ .

Wir haben für die freie Kulturszene Beispiele gesammelt, wie sich der Dauerzustand der Unterfinanzierung in den einzelnen Projekten und Häusern auswirkt. So sehen prekäre Arbeitsbedingungen aus, Sicherheit gibt es – wenn überhaupt – stets nur zeitlich befristet. Langfristig kann in kulturellen Projekten nur auf der Basis von Selbstausbeutung, Unterbezahlung und Überengagement gewirtschaftet werden. Es ist beinahe tragisch, dass so Initiativen, die inhaltlich einen emanzipatorischen Ansatz haben und die Aufhebung des gesellschaftlichen Verwertungszwangs anstreben, auf organisatorischer Ebene mit Methoden arbeiten müssen, die man nicht anders als ausbeuterisch bezeichnen kann. Das Signal an talentierte und engagierte Menschen ist verheerend – sucht euch einen anderen Job, in der freien Kultur könnt ihr nur arm bleiben.

So sehen das übrigens nicht nur wir, sondern auch der Schlussbericht der Enquete- Kommission „Kultur in Deutschland“, der die prekären Bedingungen in der (freien) Kulturproduktion schon 2007 (!) herausarbeitete.

 

Konsequenzen aus der fortgesetzten Unterfinanzierung der Freien Kulturszene durch die Stadt Leipzig – Eine Auswahl

 

tanzZenit

Aufgrund ungenügender Förderung durch die Stadt Leipzig kann der tanzZenit e.V. seine professionellen Bühnentänzerinnen nicht bezahlen und finanziert die Tanztheaterstücke ausschließlich aus privaten Spenden. Geplante drei Premieren pro Spielzeit kann der tanzZenit nie in der geplanten Form umsetzen und reduziert alle Bühnenstücke auf das nötigste (Ausstattung, Bühnenbild, Kostüme, etc.). Wenn durch die ungenügende Förderung der Stadt Leipzig auch noch Auftrittsmöglichkeiten wegfallen, ist der tanzZenit stark in seiner Existenz bedroht.

 

Frauenkultur – Soziokulturelles Zentrum

Der Frauenkultur Leipzig ist es nicht möglich, den Wegfall von 2 Kommunal-Kombi-Stellen zu kompensieren. In der Folge müssen 2012 soziokulturelle Angeboten reduziert und geplante Projekte gestrichen werden. Dies betrifft insbesondere die Mädchenprojekte zu Identität und stereotypischen Geschlechterrollen und das Musikprojekt „Playing my music.“ – ein Wettbewerb zur zeitgenössischen Musik mit dem Schwerpunkt Eigenkompositionen.

 

LOFFT

Das LOFFT kann den Wegfall einer Kommunal-Kombi-Stelle im Bereich Technik nicht durch eine Festanstellung ausgleichen. Ebenso können Teilzeitstellen für die inhaltliche und wirtschaftliche Absicherung des Betriebes nicht besetzt werden. Der Versuch einer teilweisen Kompensation kann nur durch freie Mitarbeiter erfolgen. Die Kosten dafür wie auch die gestiegenen Betriebskosten müssen durch Mehreinnahmen erwirtschaftet werden. Dies beschneidet im Gegenzug die räumlichen und personellen Ressourcen für das künstlerische Programm.

 

 VILLA – Soziokulturelles Zentrum

Die Besucher des Hauses müssen mit nach 13 Jahren intensiver Arbeit verschlissenen Sanitäranlagen uns unzureichender Reinigung des Hauses leben. Im Jugendtreff besteht weiterhin Verletzungsgefahr durch defektes Parkett.

Mitte des Jahres muss die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt werden, die Homepage kann dann nicht mehr aktualisiert werden. Einen Programmflyer gibt es schon seit Jahren nicht.

Die VILLA wird ab November nur noch sehr eingeschränkt telefonisch und persönlich erreichbar sein. Im schlimmsten Fall stehen die 40 kulturellen Gruppen und -initiativen, die das Haus jede Woche für ihre Angebote nutzen, dann auf der Straße. Das betrifft Tanzgruppen, Chöre, Theaterprojekte – aber auch Bürgerinitiativen, Kinderangebote und vieles mehr. Macht pro Woche ca. 60 Stunden Programm weniger und betrifft pro Jahr ca. 30.000 Besucher.

 

Initiative Leipziger Jazzmusiker

Aufgrund unzureichender Förderung durch die Stadt Leipzig muss die Initiative den Jazzworkshop für Jugendliche IMPRO VISION 2012 absagen. Damit wird eine weitere Chance, junge Talente zu fördern und neue Interessentengruppen an die Jazz-Musik heranzuführen, vertan.

 

GeyserHaus – Soziokulturelles Zentrum

Im GeyserHaus e.V. sind von Mitte 2011 bis Mitte 2012 4 AGH-Stellen und 4 KoKo-Stellen ersatzlos weggefallen bzw. fallen weg. Dies führt zu folgenden Einschränkungen:

Nachwuchs-Musikprojekt „Musik macht schlau“: Ab September 2012 sind ca. 300 Kinder des Kindergartenorchesters im Leipziger Osten, in Grünau und in Eutritzsch betroffen. Ebenso betroffen ist das Stipendiatenprogramm, in dem 25 bedürftige Kinder kostenlos Musikunterricht erhalten. Hier ist vor allem die Organisationsleistung gefährdet.

Jugendarbeit: Zusätzliche Angebote im Bereich der kulturellen und technischen Bildung wie Konzerte, Ausstellungen, Graffitiworkshops, Malwochenenden und Musikworkshops werden ab Mitte 2012 nicht mehr durchgeführt.

Im Bereich der Parkbühne befinden sich u.a. ein Kinderspielplatz und die Bühnenbestuhlung. Die Pflege, Wartung und der Betrieb sind nicht mehr gesichert.

Pflege, Wartung und Bedienung vorhandener Technik durch Fachpersonal ist nicht mehr gewährleistet.

Die ton- und lichttechnische Qualität der Veranstaltungen sowie die Instandhaltung der Technik sind nicht mehr gesichert. Die jährliche Revision der elektrotechnischen Anlagen ist nicht mehr gesichert bzw. muss teuer eingekauft werden. Von welchem Geld?

Die Öffentlichkeitsarbeit muss drastisch reduziert werden, was zu sinkenden Besucherzahlen und entsprechend geringeren Einnahmen führen kann.

 

Leipziger Tanztheater

Aufgrund ungenügender Förderung kann der Wegfall einer Kommunal-Kombi-Stelle und einer AGHStelle nicht durch notwendiges Personal ersetzt werden. Um diesen Personaleinsatz zu kompensieren, müssten drei geplante soziokulturelle und künstlerische Vorhaben entfallen, da der entsprechende Eigenanteil nicht aufgebracht werden kann. Mit fehlendem Eigenanteil sind beantragte und teilweise bewilligte Drittmittel für diese Projekte nicht erreichbar. Ohne personellen Ersatz ist der Betrieb nicht möglich.

 

Mühlstraße 14 – Soziokulturelles Zentrum

Beim soziokulturellen Zentrum Mühlstraße 14 e.V. konnte nur eine von zwei ausgelaufenen Kommunal-Kombistellen in ein reguläres Arbeitsverhältnis überführt werden. Die Stelle der Mitarbeiterin für Verwaltungsaufgaben ist ersatzlos weggefallen. Seit November 2011 gibt es dadurch eine unverantwortbare Verschiebung der Geschäftsführer- Aufgaben: Statt Lobby- und Gremienarbeit, Mittelakquise und projektbezogener Kooperationen muss ein Großteil der Arbeitszeit für buchhalterische Nebenaufgaben verwendet werden: Belege kopieren, aufkleben, nummerieren …

Der Auftrag des Kulturamtes, im Leipziger Osten als Multiplikator für sozialraumorientierte Projekte Verantwortung zu übernehmen, kann so nur punktuell erfüllt werden.

Der Wegfall der letzten geförderten Maßnahme Mitte des Jahres wird sich negativ auf die telefonische Erreichbarkeit, die Besucher/-inneninformation und die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses auswirken.

 

Cammerspiele

Die Cammerspiele können den Wegfall von zwei Kommunal-Kombi-Stellen und einer AGH-Stelle nicht kompensieren. Auf diesen Stellen ruhten sowohl technische, künstlerische als auch organisatorische Aufgaben, die für die Existenz und die Leitung eines Theaterhauses unabdingbar sind.

Ab Juli kann das Büro nur eingeschränkt besetzt werden, die Organisation des Theaterbetriebes wird auf Sparflamme weiterlaufen. Unser Angebot, jungen Regisseuren und Nachwuchsprojekten eine Bühne und ausreichende Betreuung zu bieten, kann nicht aufrecht erhalten werden.

Vier Inszenierungen, darunter zwei „New-Cammer“-Produktionen und das traditionelle Weihnachtstheaterstück für Kinder, mit insgesamt ca. 40 Mitwirkenden werden nicht produziert, mehr als 50 Vorstellungen können nicht stattfinden.

 

naTo – Soziokulturelles Zentrum

Der Wegfall von 2 Kommunal-Kombi-Stellen kann nicht kompensiert werden. Somit muss das Angebot zur inhaltlichen und technischen Unterstützung von Bürgerinitiativen, Kulturvereinen und jungen Künstlern ab September 2012 stark reduziert werden.

Die geplante Gehaltserhöhung für die Mitarbeiter kann nicht realisiert werden. Vorgesehen war die erste Anpassung der Einkommen an die gestiegenen Lebenshaltungskosten seit 7 Jahren.

Verschlissene Technik und Ausstattung kann nicht in erforderlichem Umfang ersetzt werden. Damit steigt das Risiko von Havarien und Veranstaltungsabbrüchen weiter an.

 

blaumilchkanal – Verein für zeitgenössische Kunst

Unser Verein realisierte seit 2007 künstlerische Einzelprojekte sowie Produktionen im Bereich Musik, Tanz, Schauspiel und bildende Kunst in Kooperation mit anderen Trägern. Durch die ausbleibende Förderung der von unserem Verein beantragten Projektgelder bei der Stadt Leipzig können wir im Jahr 2012 keines der von uns geplanten Projekte durchführen.

Für uns als frei arbeitende Künstler bedeutet das, in Leipzig kaum noch zu arbeiten bzw. beruflich/künstlerisch tätig sein zu können. Diese Situation ist für uns als professionell ausgebildete Künstler verschiedener Sparten existenziell bedrohlich.

 

Conne Island – Soziokulturelles Zentrum

Der Wegfall von zwei KoKo-Stellen (davon eine Ende 2012) kann nicht adäquat ausgeglichen werden. Eine Stelle läuft aus, eine ist in ein prekäres und nur kurzfristiges Arbeitsverhältnis umgewandelt worden. Dies wirkt sich vor allem auf das »Alltagsgeschäft«, die BesucherInnen-Kommunikation und die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins aus. Das Projekt zur BesucherInnen-Evaluation und -information kann nicht zu Ende geführt werden.

Der ständig wachsende Zuwachs an Kulturveranstaltungen, Workshops, Diskussionen und zusätzlichen Angeboten im Bereich der kulturellen und politischen Bildung kann nicht mehr durch die vorhandene Personalstruktur sowie ein großes ehrenamtliches Engagement abgedeckt werden. Damit ist die Professionalität, Intensität und Breite der Vereinsarbeit ist ansonsten gefährdet.

Die Veranstaltungsreihen »Kleine Bühne« und »Postland« – beides Subventionsprojekte für junge und unbekannte KünstlerInnen – wurden aufgrund von mangelnder Gegenfinanzierung bereits beendet.

Eine Umsetzung von »experimentellen« Konzepten und Projekten ist durch die aktuelle Fördersituation grundsätzlich unmöglich.

 

Haus Steinstraße – Soziokulturelles Zentrum

Ersatzloser Wegfall einer KoKo-Stelle ab November 2012. Davon betroffen sind ausgerechnet die Kurse der lern- und körperbehinderten Kinder und Jugendlichen und die intergrativen Kurse.

Ersatzloser Wegfall einer AGH-Entgelt-Stelle im Mai 2013. Daraufhin wird die gesamte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Haus Steinstraße drastisch reduziert werden müssen.

Ersatzloser Wegfall der AGH-Entgeltstelle, der die gesamte Organisation und Betreuung der Ehrenamtler und der Ehrenamtsprojekte (Senioren in Schulen, Sozialprojekt Miteinander-Füreinander) anvertraut ist, im Juni 2013.

 

Orchester Holzhausen e.V.

Das Orchester Holzhausen e.V. führt jedes Jahr mindestens ein Projekt mit Fördermitteln der Stadt Leipzig durch. Hierzu gehören Veranstaltungen des Sächsischen  Blasmusikverbandes, nationale und internationale Wettbewerbe sowie Austausch mit nationalen und internationalen Orchestern mit gemeinsamen Auftritten.

Für das Jahr 2012 wurde die Förderung um 50% gekürzt. Eine Begründung erfolgte nicht. Bei Fortsetzung dieser Entwicklung muss das Orchester in zwei bis fünf Jahren aufgelöst werden – mit allen Konsequenzen für die Verarmung der Kultur nicht nur in Holzhausen, für das Aus der Kinder- und Jugendarbeit in diesem Bereich. Man stelle sich vor, die Stadt würde die Förderung von Gewandhaus, Opernhaus und Schauspielhaus ohne Begründung einfach mal so um 50% kürzen …

 

Die Auflistung gibt es auch als PDF zum Herunterladen: Kulturstadt Leipzig – Die Konsequenzen der Unterfinanzierung.