Stellungnahme der Sparte Bildende Kunst der Initiative Leipzig+Kultur zu den Ereignissen im Westwerk

 15. April 2017 – von Constanze Müller

Gentrifizierungsprozesse sind Begleiterscheinungen einer jeden wachsenden Stadt. Sie haben Vor- und Nachteile. Immer geht es jedoch um den Gewinn derjenigen, die bereits viel haben und den Verlust derer, die Anderes haben, nur nicht viel Geld. Da sich die Entwicklung „erst kommen die Künstler, dann das Kapital“ seit mehr als 30 Jahren auf der ganzen Welt in wachsenden Städten wiederholt, kann man die Probleme dieses Prozesses vorausahnen und steuern! Wir fordern daher die Stadt Leipzig auf, ihr bis 2006 durchgeführtes kommunales Atelierförderprogramm wieder aufzunehmen und weiterzuentwickeln sowie auf Präsentationsräume auszudehnen – um Künstler*innen und Ausstellungsmacher*innen erschwingliche Räume zur Verfügung zu stellen.

Städte wachsen, weil Menschen darin eine Zukunft sehen. Leipzig wächst, weil sich auf den Fundamenten einer traditionsreichen Stadt, Kultur und Wirtschaft auf einem Nährboden entwickeln konnten, der für viele Jahre eher aus Schrumpfungsprozessen bestand. Leerstand und geringe Lebenskosten ermöglichten vielen Kreativen und Künstler*innen eine entspannte Ausübung ihrer Kunst und gaben ihnen in Leipzig eine Zukunft. Raum ist für sie und ihre Arbeit schlichtweg lebenswichtig. Jetzt, da der Platz knapp wird, die leerstehenden Häuser und Fabriken aufgekauft und entwickelt werden, beginnt die Not zuerst bei ihnen – denjenigen, die die Attraktivität der Stadt heute sehr stark bilden: Sie werden aus Ateliergebäuden vertrieben, so dass ihnen der Platz für die Produktion fehlt. Ihnen werden die Präsentationsräume genommen, da Kunstraumbetreiber die Mieten nicht mehr zahlen können. Das Westwerk in der Karl-Heine-Straße ist ein aktuelles Beispiel, an dem der Gentrifizierungsprozess gerade seine negative Seite in voller Entfaltung zeigt. Künstler*innen und Kreative werden vertröstet, belogen, gegen einander ausgespielt oder von heute auf morgen gekündigt, sobald sie unbequem werden. Es ist daher sehr bewundernswert und absolut notwendig, dass sie sich zusammentun und ihren Protest laut äußern. Die Demonstration am Westwerk am 11.02.2017, zu der sich ca. 1000 Menschen versammelten, zeugte davon.

Doch damit entwickelt sich auch in der Künstler*innen- und Kreativenszene eine Zweiklassengesellschaft aus denjenigen, die sich teurere Ateliers leisten können und denen, die in einer Atelier-WG zusammenkriechen oder die Stadt verlassen müssen. Das geht solange, bis alle erschwinglichen Flächen für Künstler*innen und Kreative unbezahlbar sind. Spätestens dann ist jedoch auch der Ruf von Leipzig als attraktives Zentrum einer freien Kulturszene vorbei. Dann reiht sich die Stadt ein in die lange Liste der Städte, die es nicht geschafft haben, eine verträgliche Balance zwischen millionenschweren Investoren und im Vergleich bitterarmen, aber innovativen Kreativen in der Stadt zu schaffen.

Die Kulturbürgermeisterin Frau Dr. Skadi Jennicke und das Kulturamt haben im Fall des Westwerks die Dringlichkeit erkannt und versuchen zu vermitteln. Doch bei den Entscheidungen eines privaten Investors hat auch die Stadt wenig Handhabe. Sie kann nur mahnen. Der einzige Weg, wie sie weiterhin Einfluss auf die Bewahrung einer lebendigen Kunstszene haben und zu ihrer Stärkung gegenüber rein wirtschaftlichen Interessen beitragen kann, ist die Bereitstellung von städtischen Immobilien als Atelier- und Präsentationsräume, die auf lange Sicht dem Immobilienmarkt entzogen werden.

Wir fordern daher im Namen der Sparte Bildende Kunst der Initiative Leipzig plus Kultur eine Überprüfung noch zur Verfügung stehender Gebäude für deren Nutzung als Atelier- und Präsentationsräume, sowie ein Engagement der Stadt Leipzig, diese Räume langfristig zu moderaten Mietpreisen anzubieten. Dies wäre ein starkes Bekenntnis der Stadt Leipzig zu ihren Künstler*innen und Kreativen und erhielte den Ruf der Stadt, ein lebenswerter Ort mit Zukunft für alle ihre Bewohner*innen zu sein.
Constanze Müller (Sprecherin der Sparte Bildende Kunst)
Anna Schimkat (Stellvertretende Sprecherin der Sparte Bildende Kunst)
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