Gehen wir ans Eingemachte

 08. November 2011 – von Leipzig + Kultur

In der vergangenen Woche wurde das von der Stadt Leipzig in Auftrag gegebene Gutachten zur Zukunft der kulturellen Eigenbetriebe vorgestellt. Die Agentur actori prognostiziert ein Loch von 5,7 Millionen Euro im Haushalt von Oper, Gewandhaus, Schauspiel und Theater der Jungen Welt. Nicht in weiter Ferne, sondern im Haushaltsjahr 2014/15. Peter Korfmacher schrieb am 3. 11. in seinem Leitartikel in der LVZ von „Entscheidungen auf Leben und Tod“, die jetzt in der Leipziger Kulturlandschaft anstünden.

Zeitgleich wurde vom Fachausschuss Kultur eine Beschlussvorlage in den Stadtrat eingebracht, welche vorschlägt, die Mittel für die freie Kultur auf 4,2 Prozent des Kulturhaushaltes anzuheben. Realisiert werden möge diese Erhöhung durch Umschichtungen im Kulturhaushalt. Es geht ans Eingemachte.

Vorausgegangen waren dieser Beschlussvorlage intensive Gespräche zwischen der Initiative Leipzig+Kultur und den Parteienvertretern im FA Kultur. Sowohl in zwei Rundtischgesprächen als auch in einer Arbeitssitzung wurden noch einmal der Stadtratsbeschluss von 2008 und die Möglichkeiten seiner Umsetzung durchgearbeitet. Der Beschluss besagte zwar, dass die städtische Förderung für die freie Kultur bis 2013 auf 5 Prozent der städtischen Kulturausgaben anwachsen solle. Er enthielt aber weder einen Zeitplan noch Vorschläge, wie dieser Beschluss realisiert werden möge.

Nachdem der Verwaltungsvorschlag für den Haushalt 2012 eine erneute Nullrunde bei der Förderung freien Kultur vorsah, wurde der Handlungsdruck enorm. Denn diese Nullrunde hätte bedeutet, dass für das Haushaltsjahr die gesamte Förderungslücke bis zu den 5 Prozent auf einen Schlag hätte geschlossen werden müssen. Was bedeutet hätte, für den Haushalt 2013 deutlich mehr als 1 Mio. Euro für die freie Kultur freizuschaufeln. Seit Jahren hatte Leipzig + Kultur gegen dieses Szenario angekämpft. Zu groß war die Gefahr, dass die Stadträte vor einer solch großen Summe, die durch das Aufschieben entstehen würde, kapitulieren würden und den 5-Prozent-Beschluss kippen oder modifizieren würden.

Die vorliegende Beschlussvorlage des Fachausschusses Kultur im Wortlaut:

Beschlussvorschlag

Die Fördermittel für die Freie Szene werden für das HH-Jahr 2012 um 460 T € erhöht.

Die Deckung der beantragten Erhöhungssumme hat gemäß dem Stadtratsbeschluss aus dem Kulturetat zu erfolgen. Die Mittel werden aus der Projektgruppe 25 – 29 entnommen. Die Stadtverwaltung unterbreitet dazu einen Umsetzungsvorschlag.

Begründung:

Der Stadtrat hat im Jahre 2008 beschlossen, die Fördermittel für die Freie Szene bis zum HH-Jahr 2013 stufenweise auf 5% des Kulturetat zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine deutliche Anhebung der vorgesehenen Fördermittel notwendig. 4,2 % des Kulturetats von 106 Mio. € sind die im Beschlussvorschlag genannte Summe.

Diese Vorlage erhöht nicht nur den Druck auf die Verwaltung, sich ernsthaft mit der Umsetzung des Stadtratsbeschlusses zu beschäftigen. Natürlich ist der Deckungsvorschlag eine Herausforderung an die Verantwortlichen für die kulturellen Eigenbetriebe. Denn diese Beschlussvorlage fordert, das Geld für die freie Kultur aus dem Kulturetat zu generieren – also durch Einsparungen bei anderen Kultureinrichtungen.

Wohin diese Diskussion führen wird, ist offen. Es wird interessant zu sehen sein, wie sich Burkhard Jung (von dem die im Stadtrat protokollierte einzige Stimme gegen den 5-Prozent-Beschluss stammt) und die unter seiner Verantwortung stehenden Eigenbetriebe zu diesem Beschlussvorschlag des FA Kultur positionieren. Wie weit reicht das Verständnis für die Belange der freien Kulturmacher bei den Kulturmachern in den Eigenbetrieben? Aber auch die Stadträte müssen Farbe bekennen, welche Bedeutung sie der vitalen unabhängigen Kulturlandschaft tatsächlich beimessen. Die Zeit für warme Worte und Vertröstungen auf vermeintlich bessere Tage ist mit diesem Antrag endgültig vorbei.

Es sind deutliche Signale, sowohl das actori-Gutachen als auch der Antrag des Fachausschusses. Leipzig braucht eine Diskussion darüber, wie sich die Stadt kulturell entwickeln soll und kann. Eine Diskussion, die unserer Meinung nach unter inhaltlichen und strukturellen Gesichtspunkten geführt werden sollte. Aus den Übereinkünften einer solchen Debatte könnte dann die Neuordnung der Kulturfinanzierung abgeleitet werden.

Auch wenn zu befürchten ist, dass vermeintlich finanzielle Zwänge zu einem Vorgehen in genau umgekehrter Reihenfolge führen werden, bieten wir weiterhin an, uns inhaltlich und fachlich fundiert in die Diskussion einzuführen. Wir sind offen, sowohl für den Gedankenaustausch mit dem Stadtrat als auch mit den kulturellen Eigenbetrieben. Solange es möglich ist, bevorzugen wir gemeinsame und abgestimmte Entscheidungen. Die Gefahr, dass kommunale und freie Kulturmacher gegeneinander aufgewogen und ausgespielt werden – zum letztlichen Schaden der Kulturstadt Leipzig – ist größer denn je.