Freie Szene: Was hat Leipzig davon?

 18. Dezember 2018 – von Leipzig + Kultur

In der politischen Diskussion um eine angemessene Förderung stellt sich immer wieder die Frage nach dem Wert der Freien Szene für die Stadtgesellschaft. Es sei – so argumentieren einige – nicht Aufgabe der Politik, die Lebensentwürfe von Leuten zu finanzieren, die sich das Hobby zum Beruf gemacht haben. Vielmehr sei nur zu finanzieren, was maßgeblich zur kulturellen Grundversorgung und damit deutlich zur Lebensqualität der Stadt beitrage.

Auch wenn sich Faktoren wie Lebensqualität und ästhetische Erfahrung kaum quantifizieren lassen und viele Kunstschaffende einer solchen Sichtweise deshalb skeptisch gegenüberstehen, haben wir im Rahmen der #kulturstark Kampagne einige Fakten gesammelt, die selbst Szenekenner überraschen.

Tägliche Dutzende nicht-kommerzielle Veranstaltungen für Leipzig

So hat eine Zählung ergeben, dass allein im Monat November 523 Bühnen-Veranstaltungen der Freien Szene stattgefunden haben: vom Figurentheater bis zum Jazzkonzert, von der Tanzperformance bis zum Poetry Slam. Dazu kommen die Filmprogramme solcher Veranstalter wie Schaubühne, naTo oder Cinematheque, die zahlreichen Workshops und partizipative Formate der soziokulturellen Zentren, sowie Ausstellungen  der Bildenden Künste. Alles zusammen konnten die Leipziger BürgerInnen jeden Tag (!) aus Dutzenden nicht-kommerziellen Kulturangeboten der Freien Szene wählen!

Dezentral und effizient

Diese kulturelle Vitalität wird getragen von einem Netzwerk, das die Stadt bis in die Kapillaren versorgt: zählt man die Kapazitäten der Freien Veranstalter zusammen, kommt man bei zurückhaltender Rechnung auf rund 5.900 Zuschauerplätze!

Natürlich sind die Akteure der Freien Szene mit dieser Zählung nicht einverstanden: es gibt ja zusätzlich noch die Veranstaltungen in Parks und Schulen, in Wohnungen, Unterführungen, Galerien, in ungezählten Winkeln der Stadt und auch zu Gast in den Eigenbetrieben. Dennoch zeigt die Karte der „ganz normalen“ Veranstaltungsorte eine flächendeckende Kulturstärke von Grünau bis Volkmarsdorf, von Connewitz bis Möckern. Das ist eine beachtliche infrastrukturelle Leistung der Freien Szene, die angesichts des absurd geringen Mitteleinsatzes für die Stadt an Effizienz nicht zu übertreffen ist.

Veranstaltungsorte der Freien Szene

Die Karte Orte der Freien Szene Leipzig in vollem Bildschirm öffnen.

Internationale Strahlkraft

Eine andere Erhebung belegt, dass Leipzigs Freie Szene nicht nur Quantität, sondern auch Qualität erzeugt. Eine flüchtig durchgeführte Umfrage konnte nachweisen, dass allein im Jahr 2018 freie künstlerische Projekte aus Leipzig in mindestens 49 Länder auf der ganzen Welt exportiert wurden. Das zeichnet nicht nur die Leipziger Künstler aus, sondern trägt auch erheblich zur Außenwirkung der Stadt bei: von Kalifornien bis Japan, von Norwegen bis Südafrika wird das Image Leipzigs als wache, weltoffene, kulturstarke Stadt in die Welt getragen.

Projekte der Freien Szene Leipzigs in der Welt

Die Karte Kultur-Exporte der Freien Szene Leipzig 2018 in vollem Bildschirm öffnen.

Leipzig im bundesweiten Kontext

Nachdem bereits vor Jahren gezeigt werden konnte, dass die Freie Szene 50% aller Veranstaltungsbesuche in der Stadt ermöglicht, untermauern die neuen Erkenntnisse einmal mehr die Forderungen der Freien Szene nach grundsätzlichen Verbesserungen ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen. Denn die Künstler*innen sind nach wie vor eklatant unterfinanziert und direkt von Armutsfolgen betroffen.

Mit ihren Forderungen stehen die Leipziger Kunstschaffenden nicht allein. In der ganzen Bundesrepublik fordern ähnliche Initiativen einen Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik -und tatsächlich geraten die Dinge in Bewegung! So hat sich die Hamburger Bürgerschaft in ihrem Doppelhaushalt 2019/20 gerade einem Antrag der SPD- und Grünen-Fraktion angeschlossen und den Etat für die Freie Szene verdoppelt! Zuvor konnte das Land NRW mit einem Quantensprung in der Förderung Freier Künste glänzen, als es im Sommer eine Erhöhung des Etats für die Freie Szene um 50% verkündete.

Auf Bundesebene hatte beispielsweise der Fonds Darstellende Künste eine Erhöhung der Fördermittel beschlossen, von dem auch die Leipziger profitieren könnten. Aufgrund der Notwendigkeit, Fördermittel des Bundes bei Antragsstellung mit kommunalen Zuschüssen zu komplementieren, haben die Leipziger allerdings nur dann eine Chance, wenn auch der Leipziger Stadtrat eine grundsätzliche Verbesserung des Etats beschließt. Ein entsprechender Antrag der Fraktionen von LINKEN, GRÜNEN und SPD steht im Stadtrat zur Abstimmung.

Ende Januar fällt die Entscheidung.